Massive Naturzerstörung erreicht den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), indem die pazifischen Inselstaaten die Anerkennung von „Ökozid“ als internationales Verbrechen vorschlagen.  

Zusammenfassung: 

  • Meilenstein für Umweltgerechtigkeit: Änderung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zur Aufnahme des Verbrechens des Ökozids vorgeschlagen 

  • Vanuatu ist einer der Hauptinitiatoren des historischen Vorschlags, hohe Funktionäre und Entscheidungsträger für schwerste Verbrechen gegen die Umwelt zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen

  • Der IStGH hat die internationale Zuständigkeit für die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Ökozid würde, wenn anerkannt, das fünfte internationale Verbrechen werden


NEW YORK, 09. SEPTEMBER 2024: Der Straftatbestand des Ökozids wurde gestern offiziell den Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zur Prüfung vorgelegt - ein wichtiger Schritt in den weltweiten Bemühungen, massive Umweltzerstörung als Verbrechen im Völkerrecht zu verankern.

Der von Vanuatu, Fidschi und Samoa vorgeschlagene Begriff „Ökozid“ wird definiert als „rechtswidrige oder willkürliche Handlungen, mit dem Wissen begangen, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht werden“. Diese Definition wurde 2021 von einem unabhängigen Gremium hochrangiger Jurist:innen aus der ganzen Welt erarbeitet, das von der Stop Ecocide Stiftung einberufen wurde, und hat in der Zwischenzeit erhebliche rechtliche und politische Beachtung gefunden.

 Der 2002 gegründete Internationale Strafgerichtshof ist das einzige internationale Tribunal, das für die strafrechtliche Verfolgung von Personen zuständig ist, die in höherer Position für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression verantwortlich sind. Nach der neu vorgeschlagenen Gesetzgebung zum Ökozid könnten solche Personen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihre Handlungen zu schweren Umweltschäden führen, z.B. bei massiven Öl- oder Chemieunfällen, bei der Abholzung von Regenwäldern oder bei der Zerstörung ganzer Flusssysteme.

Kronanwalt Professor Philippe SandsJuraprofessor am University College London und Ko-Vorsitzender des unabhängigen Expert:innengremiums für die juristische Definition von Ökozid, sagte: “Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs weist eine offensichtliche Lücke auf, und der Begriff ‘Ökozid’ steht nun fest auf der Tagesordnung - ein wichtiger und notwendiger Moment für ein wirksames internationales Recht. Diese Entwicklung spiegelt die wachsende Einsicht wider, dass schwerwiegende Umweltzerstörung die gleiche rechtliche Verantwortlichkeit verdient wie andere schwere internationale Verbrechen. Ich fordere die Mitgliedstaaten dringend auf, diese Initiative zu unterstützen und anzuerkennen, dass das Römische Statut in seiner jetzigen Fassung nicht ausreicht, um Umweltschäden zu bekämpfen, und dass dies ein Moment des Generationswechsels ist, der notwendig ist, um unsere Umwelt zu schützen und den kommenden Generationen zu signalisieren, dass die Welt es wirklich ernst meint.“

Nach der Benachrichtigung von UN-Generalsekretär António Guterres wurde der Arbeitsgruppe für Änderungen der IStGH-Versammlung ein förmlicher Vorschlag zur Ergänzung des Römischen Statuts um den Straftatbestand des Ökozids vorgelegt. Dieser Vorschlag wurde von Vanuatu, einem niedrig gelegenen Archipel mit 80 Inseln in Ozeanien, eingebracht und von den anderen pazifischen Inselstaaten Fidschi und Samoa mitgetragen, was die Bedeutung von Überlegungen zur Umweltgerechtigkeit für kleine Inselentwicklungsstaaten (SIDS) widerspiegelt. Vanuatu war der erste Staat, der 2019 vor dem Internationalen Strafgerichtshof die internationale Anerkennung von Ökozid forderte. 

In den letzten 18 Monaten wurden auf nationaler und regionaler Ebene zahlreiche neue Rechtsvorschriften zum Thema Umweltzerstörung erlassen. Anfang 2024 führte Belgien einen nationalen Straftatbestand des Ökozids ein, während die Europäische Union einen „qualifizierten“ Straftatbestand in ihre neu überarbeitete Richtlinie über Umweltkriminalität aufnahm, um „mit Ökozid vergleichbare Handlungen“ zu bekämpfen. In einer wahrhaft historischen Abstimmung haben ALLE EU-Mitgliedstaaten für die Richtlinie gestimmt - außer Deutschland. Auch in anderen Ländern, darunter Peru, Brasilien, Schottland, Italien und Mexiko, werden derzeit neue Ökozid-Gesetze erarbeitet.   

Bezeichnenderweise hat letzte Woche die Global Commons Survey 2024 - eine neue Umfrage von Ipsos MORI im Auftrag von Earth4All und der Global Commons Alliance - ergeben, dass 72% der Menschen in den reichsten Ländern der Welt ein Gesetz gegen Ökozid unterstützen. Fast drei von vier Befragten in den G20-Ländern (ohne Russland) befürworten die Kriminalisierung von Handlungen, die weit verbreitete, langfristige oder irreversible Schäden für Natur und Klima verursachen.  

Jojo Mehta, Mitbegründerin und CEO von Stop Ecocide International, sagte: "Die Einführung von Ökozid als internationales Verbrechen ist von entscheidender Bedeutung, da dadurch diejenigen, die eine übergeordnete Verantwortung tragen – leitende Angestellte und politische Entscheidungsträger:innen – für Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu einer schweren Umweltzerstörung führen könnten. Das Hauptziel ist Schutz: Es geht um Abschreckung. Das Strafrecht schafft sowohl moralische als auch rechtliche Grenzen und macht deutlich, dass extreme Schäden nicht nur rechtswidrig, sondern völlig inakzeptabel sind. Durch die Festlegung rechtlicher Konsequenzen schaffen wir eine Leitplanke, die Entscheidungsträger:innen dazu zwingt, der Sicherheit von Menschen und des Planeten Vorrang einzuräumen, und die ihre Herangehensweise an ihre Aufgaben grundlegend verändert. Wir schaffen auch einen Weg zur Gerechtigkeit für die schlimmsten Schäden, unabhängig davon, ob sie in Konflikt- oder Friedenszeiten auftreten."

Der Vorschlag zur Änderung des Römischen Statuts kommt zu einem kritischen Zeitpunkt in der Geschichte des IStGH, der in den letzten Monaten international unter die Lupe genommen wurde. US-Gesetzgeber drohen mit Sanktionen, nachdem das Gericht angekündigt hat, Haftbefehle für Israels höchste Beamte, darunter Premierminister Benjamin Netanjahu, sowie für die Hamas-Führer wegen angeblicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Konflikt zu beantragen. Das Gericht hat auch einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während des Konflikts mit der Ukraine begangen wurden.

Ralph Regenvanu, Sondergesandter für Klimawandel und Umwelt der Republik Vanuatu, sagte: "Umwelt- und Klimaschäden in Vanuatu zerstören unsere Inselwirtschaft, überschwemmen unser Territorium und bedrohen unsere Lebensgrundlagen. Diese Tragödie ist nicht auf Vanuatu beschränkt, sondern betrifft viele kleine Inselstaaten, die, obwohl sie am wenigsten für die Krise verantwortlich sind, am meisten unter ihren Auswirkungen leiden.

"Wir ergreifen mutige und notwendige Maßnahmen, um diese Herausforderungen anzugehen, und ermutigen andere gefährdete Staaten, unseren Vorschlag, Ökozid vor den IStGH zu bringen, zur Kenntnis zu nehmen. Vanuatu hält es für unerlässlich, dass die internationale Gemeinschaft dieses Diskurs ernst nimmt, und wir laden alle IStGH-Mitgliedstaaten herzlich ein, sich zu beteiligen. Die rechtliche Anerkennung schwerer und weit verbreiteter Umweltschäden birgt ein erhebliches Potenzial, um Gerechtigkeit zu gewährleisten und, was von entscheidender Bedeutung ist, weitere Zerstörungen zu verhindern.

„Als erstes Land, das 2019 die Aufnahme von Ökozid als Straftatbestand beim IStGH forderte, setzt sich Vanuatu weiterhin dafür ein, diese kritischen Themen auf höchster Ebene anzugehen. Wir fordern die IStGH-Mitgliedstaaten auf, die sehr große Unterstützung der Zivilgesellschaft für diese Initiative weltweit zur Kenntnis zu nehmen, während sie in dieser entscheidenden Diskussion voranschreitet.“

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IPSOS-Umfrage: 72% glauben, dass Ökozid eine Straftat sein sollte